Seit der Teilung der Philosophischen Fakultät im Jahre 1970 ist das Institut für Politikwissenschaft in die Fakultät für Sozial- und Verhaltenswissenschaften eingegliedert. In der Fakultät sind mehrere Institute organisatorisch zusammengeschlossen: Erziehungswissenschaft, Psychologie, Sportwissenschaft, Politikwissenschaft, Soziologie und Empirische Kulturwissenschaft.
Nach dem erfolgreichen Abschluß eines Studienganges in der Fakultät mit dem Abschluß Diplom, Magister oder Staatsexamen besteht die Möglichkeit der Promotion zum "Doktor der Sozialwissenschaft" (Dr. rer. soc.).
Politikwissenschaft als eigenständige akademische Disziplin entwickelte sich in Deutschland erst nach 1945. An der Universität Tübingen wurde Politikwissenschaft 1952 als akademisches Fach eingerichtet. Die Entwicklung der Politikwissenschaft an der Universität Tübingen wurde in den ersten beiden Jahrzehnten maßgeblich durch Theodor Eschenburg vorangetrieben.
Thematisch konzentrierte sich das Fach in Forschung und Lehre zunächst - mit engen Bezügen zur Zeitgeschichte und zum Öffentlichen Recht - auf die institutionellen Strukturen der Bundesrepublik (Verbände/Interessengruppen, Parteien, Regierung und Bürokratie, Parlamentarismus, Verfassungsfragen). Mit der weitgehend sozialwissenschaftlich orientierten vergleichenden Analyse von Industriegesellschaften trat ab der zweiten Hälfte der 60er Jahre ein weiterer Arbeitsschwerpunkt hinzu. Themen waren Regierungssysteme und Bürokratie in westlichen und sozialistischen Ländern, Konfliktregelungen in westlichen Ländern, organisationssoziologische Untersuchungen von Parteien und Verbänden, Wahlkampfanalysen sowie die Außen- und Deutschlandpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Fragestellungen der "Internationalen Beziehungen" sowie von der "Friedens- und Konfliktforschung" bearbeitete Probleme erweiterten das Spektrum der Forschungs- und Lehraktivitäten am Institut für Politikwissenschaft zu Beginn der 70er Jahre. Besonders eingehend behandelt wurden die Möglichkeiten der Friedenssicherung im Ost-West-Verhältnis, Funktionen und Leistungen internationaler Organisationen (bes. der Vereinten Nationen), Prozesse der europäischen Integration sowie die Nord-Süd-Entwicklungszusammenarbeit.
Politikwissenschaft kann heute an der Universität Tübingen für das Lehramt an Gymnasien und im Magisterstudiengang studiert werden. Im Rahmen des Magisterstudienganges sind im Wintersemester 1995/96 zwei Studienschwerpunkte, "Politikwissenschaft mit Regionalschwerpunkt Europa, Vorderer Orient oder Lateinamerika" und "Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen" eingerichtet worden. Die Schwerpunktbildung erfolgt durch eine Konzentration der Studieninhalte im Hauptstudium und durch den Nachweis von Kenntnissen einschlägiger Fremdsprachen. Der Magisterabschluß kann in "Politikwissenschaft", "Politikwissenschaft mit Regionalschwerpunkt" und "Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen" erfolgen. Die beiden Studienschwerpunkte können nur im Hauptfach studiert werden. Außerdem ist Politikwissenschaft Wahlpflichtfach in einigen Diplom-Studiengängen (Volkswirtschaftslehre, Betriebswirtschaftslehre, Geographie, Erziehungswissenschaft, Psychologie); im Studiengang "Diplom-Volkswirt mit Schwerpunkt Regionalstudien" kann Politikwissenschaft als besonderer Schwerpunkt (derzeit mit den Regionen: Anglo-Amerika, Lateinamerika, Osteuropa) gewählt werden. Der Ablauf des Studiums ist auf ein viersemestriges Grundstudium und ein ebenso langes Hauptstudium angelegt. Vor Eintritt in das Hauptstudium wird die Zwischenprüfung abgelegt.
Das Institut für Politikwissenschaft verfügt über eine Institutsbibliothek , deren Bestand ca. 45.000 Bände und 130 Fachzeitschriften umfaßt (Januar 1996). Einschlägige Fachliteratur findet sich darüber hinaus auch in der Universitätsbibliothek und in den Institutsbibliotheken benachbarter Fächer.
Im Wintersemester 1995/96 waren an der Universität Tübingen 1.215 Studierende im Fach Politikwissenschaft eingeschrieben. Im Augenblick hat das Institut 14 Planstellen des wissenschaftlichen Dienstes: 7 Professuren, 2 Akademische Ratsstellen, 5 wissenschaftliche Assistenten- bzw. Angestelltenstellen; hinzu kommen noch einige durch Drittmittel finanzierte Projektstellen. Zwei Honorarprofessoren sowie mehrere Lehrbeauftragte erweitern das Lehrangebot des Instituts, wobei letztere vor allem den Bezug zu praktischen Tätigkeitsfeldern (z.B. Medien, Verwaltung, politische Bildung) herstellen.
Die Schwerpunkte des Faches haben sich heute in Forschung und Lehre weiter ausdifferenziert und zugleich erweitert. Dem trägt die Gliederung des Instituts in drei Abteilungen Rechung ("Innen- und EU-Politik und Politische Theorie", "Internationale Beziehungen/Friedens- und Konfliktforschung" und "Vergleichende Analyse politischer Systeme und Empirische Politikforschung"), bei denen über die Jahre besondere Forschungsschwerpunkte angesiedelt wurden.
Das Institut unterhält Kooperations- und Austauschbeziehungen mit zahlreichen Universitäten des In- und Auslands.
(Leiter: Prof. Dr. Rudolf Hrbek; Prof. Dr. N.N., Akad. ORat Dr. Rudolf Steiert, Wiss. Angest. Christine Probst-Dobler, Wiss. Angest. Jürgen Wagner, Wiss. Angest. Christan Roth, Privatdozent Dr. habil. Wolfgang Schumann)
Diese Abteilung beschäftigt sich primär mit dem politischen System der Bundesrepublik Deutschland, mit Fragen der europäischen Integration, der Politik und Entwicklung der EG/EU sowie mit einzelnen EG/EU-Politikbereichen - insbesondere im Rahmen der Arbeitsgruppe EU-Forschung -, mit der Vergleichenden Analyse liberaldemokratischer Systeme vorrangig in Europa, mit der politischen Wirtschaftslehre und der vergleichenden Politikfeldanalyse, mit der Politischen Theorie und Politischen Philosophie.
Auf dem Gebiet des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, einem traditionellen Hauptarbeitsgebiet der Tübinger Politikwissenschaft, werden vorrangig Fragen der Verfassungsentwicklung, der föderativen Ordnung, der Rolle politischer Institutionen, der politischen Kultur, der parlamentarischen Regierungsweise einschließlich ihrer Ergänzung um direkt-demokratische Elemente, der Entwicklung des Parteiensystems und der Vermittlung von organisierten Interessen behandelt. Probleme der Landes- und Kommunalpolitik, aktuelle Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie die Auswirkungen der Einbindung der Bundesrepublik Deutschland in die Europäische Union auf das politische System erhielten in den letzten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit.
Probleme der europäischen Integration sind seit Mitte der 70er Jahre Gegenstand von mit Drittmitteln geförderten Forschungsprojekten sowie von Eigenprojekten, die von der Arbeitsgruppe EU-Forschung, vielfach in interdisziplinärer Kooperation mit in- und ausländischen Instituten und Forschungseinrichtungen, durchgeführt wurden. Das Themenspektrum umfaßt Rolle und Funktion politischer Parteien und Interessenverbände (einschließlich ihrer transnationalen Organisationen) in der EU; spezielle Aspekte des EU-Entscheidungsgefüges (Europäisches Parlament, Ausschußwesen, Beteiligung von Bundesländern/Regionen, Lobbying); ausgewählte Politiken; Reform und Weiterentwicklung der EU; die Bedeutung nationaler Interessen im Integrationsprozeß. Im Rahmen der interdisziplinären DFG-Forschergruppe "Europäische und internationale Wirtschaftsordnung aus der Sicht der Bundesrepublik Deutschland" wurde die Vertretung deutscher Interessen anhand von Politikfeldanalysen (Handels-, Agrar-, Textil-, Währungs- und Technologiepolitik) untersucht. Die VW-Stiftung unterstützt ein Forschungsprojekt zur Europäischen Sozialpolitik. Weitere Arbeiten gelten den europapolitischen Aktivitäten von Bundesländern, Regionen und Kommunen, ihrer Einbindung in die neue Wirtschaftsordnung des Binnenmarktes und der politischen Ökonomie der europäischen Integration. Schließlich werden empirische Untersuchungen des südöstlichen Mittelmeerraumes (Eliten im Kontext von EU- und NATO-Politik) durchgeführt.
Auf dem Gebiet der Vergleichenden Analyse liberal-demokratischer Systeme in Europa geht es unter der übergreifenden Fragestellung nach ihren Entwicklungstendenzen um den Wandel ihrer Verfassungsordnungen, ihrer Parteiensysteme und in der Vermittlung organisierter Interessen, sowie um Regionalisierungs- und Föderalisierungsprozesse. Sowohl auf diesem Gebiet als auch in Fragen der EU-Integration besteht ein enges Kooperationsverhältnis mit dem interdisziplinären Europäischen Zentrum für Föderalismus-Forschung, Tübingen.
Außerdem werden Probleme der Politischen Philosophie, der Politischen Soziologie und der modernen Politischen Theorie erforscht und solche soziopolitischen Probleme thematisiert, die sich aus dem Verhältnis von naturwissenschaftlich-technischem Fortschritt und politischer Ethik ergeben.
In der Lehre werden regelmäßig Vorlesungs- und Seminarveranstaltungen zu folgenden Themen angeboten, wobei dem Regionalschwerpunkt Europa besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird: "Einführung in das Studium der Politikwissenschaft", "Das politische System der Bundesrepublik Deutschland", "Politische Theorie", "Politische Wirtschaftslehre", "Methodologie der Sozialwissenschaften", "Politische Systeme Westeuropas", "Europäische Integration und EU-Politik", "Politische Parteien und Parteiensysteme in Westeuropa", politische Systeme ausgewählter OECD-Länder (wie Frankreich, Italien, Großbritannien, Kanada, Griechenland, Österreich, Schweiz, Dänemark, Schweden und Südosteuropas), Klassiker der politischen Ideengeschichte, Analysen ausgewählter Politikfelder. Die Forschungsschwerpunkte der Abteilung werden dabei regelmäßig in das Lehrangebot eingebracht.
Für die Publikation größerer Forschungsarbeiten aus dem Bereich der EU-Forschung stand 1980- 1993 die interdisziplinäre "Schriftenreihe Europa-Forschung" (hrsg. von Rudolf Hrbek, zusammen mit dem Juristen Eberhard Grabitz, Berlin, und dem Ökonomen Josef Molsberger, Tübingen) zur Verfügung. Mit Blick auf konkrete Forschungsinteressen und -schwerpunkte im Rahmen langjähriger Zusammenarbeit wurde 1993 die Schriftenreihe "Integration Europas und Ordnung der Weltwirtschaft" begründet (hrsg. von Rudolf Hrbek, zusammen mit den Tübinger Kollegen Thomas Oppermann, Rechtswissenschaft, und Joachim Starbatty, Wirtschaftswissenschaft). Für die Veröffentlichung von Arbeiten auf dem Gebiet der Landespolitik wurde 1987 die Schriftenreihe "Tübinger Studien zur Landespolitik und Politischen Landeskunde" (hrsg. von Rudolf Hrbek und Hans-Georg Wehling) geschaffen. Rudolf Hrbek gehört zu den Herausgebern der 1994 neu entstandenen Schriftenreihe des Europäischen Zentrums für Föderalismus-Forschung. Nikolaus Wenturis ist einer der Mitherausgeber der Schriftenreihe "Europäisches Forum", Mitglied des wissenschaftlichen Beirates im "Centro de Documentación" der Universidad de Navarra (Spanien) und Leiter der Tübinger Zweigstelle der "Südosteuropa-Gesellschaft". Rudolf Steiert gehört dem Redaktionskollegium der Zeitschrift "SoWi" (Sozialwissenschaftliche Informationen) an; Rudolf Hrbek ist Mitglied der Redaktion der Zeitschrift "Integration", Bonn, sowie Mitglied der wissenschaftlichen Beiräte der Zeitschriften "Journal of European Integration / Revue d'Intégration Européenne" und "Regional & Federal Studies".
Detailliertere Informationen sind auf den Seiten der Abteilung I: "Innen- und EU-Politik und Politische Theorie" erhältlich.
(Leiter: Prof. Volker Rittberger, Ph.D.; Prof. Dr. N.N., Akad. Rat Dr. Thomas Nielebock, Wiss. Assistent Dr. Frank Schimmelfennig, Wiss. Angestellter Peter Mayer)
Detailliertere Informationen sind auf den Seiten der Abteilung Internationale Beziehungen/Friedens- und Konfliktforschung erhältlich.
Die Schwerpunkte der Abteilung lagen in den letzten Jahren im Bereich der Analyse internationaler Regime und internationaler Organisationen, der Rolle Deutschlands in der internationalen Politik und der vergleichenden Außenpolitikanalyse. Weiterhin stehen Untersuchungen zu Sicherheits- und Abrüstungsfragen sowie zur Zukunft Europas in der internationalen Politik im Mittelpunkt der Forschung. Darüber hinaus beteiligt sie sich an der Weiterentwicklung von Theorien der internationalen Beziehungen unter besonderer Berücksichtigung der Bedingungen des friedlichen Konfliktaustrags.
Seit den frühen 70er Jahren werden in der Abteilung Forschungsprojekte durchgeführt, die von der ehemaligen Deutschen Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung, der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Volkswagenstiftung mit Sachbeihilfen in Höhe von knapp 4 Millionen DM gefördert wurden. In den letzten Jahren wurden drei - z.T. noch laufende - Forschungsprojekte durchgeführt.
Neue Forschungsschwerpunkte der Abteilung werden Fragen der Demokratisierung internationaler Institutionen und die Rolle nicht-staatlicher Akteure in der internationalen Politik sein.
Das Lehrangebot der Abteilung, in das die genannten Forschungsschwerpunkte einfließen, umfaßt Vorlesungen und Seminarveranstaltungen, bspw.: "Deutschland in der internationalen Politik", "Internationale Politik in Europa", "Politik in internationalen Organisationen", "Internationale Politikfeldanalysen (Sicherheit, Umwelt)", "Einführung in die internationalen Beziehungen", "Theoriegeschichte der Wissenschaft von den internationalen Beziehungen" sowie einen regelmäßig angebotenen Kurs "Methodenprobleme der Wissenschaft von den Internationalen Beziehungen". Im Rahmen von Austauschprogrammen des Instituts (ERASMUS, Integriertes Auslandsstudium (IAS)) findet ein regelmäßiger Austausch von Studierenden und Lehrenden der Abteilung mit den Universitäten Genf, Groningen, Helsinki, Leuven und dem Institut d'Etudes Politiques de Paris statt. In unregelmäßigen Abständen werden Intensivkurse zu Fragen der Europäischen Sicherheit für die Studierenden der genannten Institute angeboten. Außerdem bestehen Austauschprogramme mit der Brown University (Providence, Rhode Island), der University of Minnesota (Minneapolis) und den Universitäten von Liège, Straßbourg, Fribourg, Perugia und Leicester sowie dem Moskauer Staatsinstitut für Internationale Beziehungen.
Zahlreiche Veröffentlichungen durch die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Abteilung in deutscher und englischer Sprache. Seit 1985 gibt die Abteilung die Reihe "Tübinger Arbeitspapiere zur Internationalen Politik und Friedensforschung" mit zwei bis vier Ausgaben pro Jahr zur Dokumentation laufender Forschungsarbeiten heraus. Prof. Rittberger ist Mitherausgeber der Zeitschriften "International Organization", "Law and State" und "Die Friedens-Warte"; er ist Mitglied der wissenschaftlichen Beiräte der Zeitschriften "Cooperation and Conflict" und "European Journal of International Relations".
Diese Abteilung besteht aus drei unabhängigen Teilbereichen:
Detailliertere Informationen sind auf den Seiten der Abteilung III: "Vergleichende Analyse politischer Systeme und Empirische Politikforschung" erhältlich.
(Prof. Andreas Boeckh, Ph.D., Wiss. Angestellter Harald Barrios, M.A., Wissenschaftlicher Angestellter Dr. Christian v. Haldenwang)
Dieser Bereich beschäftigt sich mit politischen Systemen in Lateinamerika in vergleichender Perspektive, der politischen Soziologie und den Außenbeziehungen dieser Region bzw. mit der Rolle und Stellung Lateinamerikas in den internationalen Beziehungen. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Entwicklungstheorie.
Der Zusammenhang zwischen der gering ausgeprägten Fähigkeit lateinamerikanischer Staaten zur internen Ressourcenmobilisierung und ihrer chronischen Neigung zur Auslandsverschuldung und Überschuldung ist ein Thema, das seine Aktualität durch die Schuldenkrise der 80er Jahre erhalten hat, das aber auf ein Grundproblem lateinamerikanischer Entwicklungspolitik verweist, das sich weit in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen läßt. Insofern als Steuern als Scharnierstelle zwischen Staat und Gesellschaft betrachtet werden können, lassen sich an der Steuerproblematik die Besonderheiten der Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft in Lateinamerika darstellen. Im Rahmen der gegenwärtigen Transformationsprozesse, in der auch die Rolle des Staates im Entwicklungsprozeß neu definiert wird, finden in Lateinamerika allenthalten Steuerreformen statt, welche - nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen der letzten Schuldenkrise - die Staatsfinanzen auf eine solide Basis stellen sollen und zugleich einen Wandel im Verhältnis von Staat und Gesellschaft markieren könnten. Geographische Schwerpunkte dieser Untersuchungen waren bisher Argentinien, Peru, Mexiko, Brasilien und Venezuela. Unterstützt wurden die Forschungen durch Reisestipendien der DFG und ein Forschungsstipendium des DAAD.
Ein anderer Schwerpunkt liegt auf der Untersuchung der Handlungsspielräume schwacher Staaten in wechselnden Hegemonialsituationen, bei dem es einmal um die Analyse der sowohl im politischen System dieser Länder wie im internationalen System verortbaren Determinanten dieser Handlungsspielräume geht und zum anderen um eine Überwindung der bisherigen euro- bzw. amerikazentrischen Sichtweise bei der Analyse dieses Problems. Die folgenden Fälle wurden untersucht: Mexiko während der Texas-Krise, Mexiko im Konflikt mit den USA und Großbritannien nach der Verstaatlichung des Erdöls 1938, Costa Rica im Konflikt mit den USA wegen des amerikanisch-nikaraguanischen Kanalvertrags (bis 1916), Costa Rica im Zentralamerika-Konflikt in den 1980er Jahren, Die Venezuela-Krisen 1895 und 1902/03, Venezuelas Rolle bei der Gründung der OPEC 1960, die Dominikanische Republik in den Finanzkrisen nach 1905/1907, die Dominikanische Republik und die amerikanische Intervention 1965. Dieses Forschungsprojekt wurde von 1993 - 1995 von der DFG gefördert. Projektmitarbeiter waren Dr. Ragnhild Fiebig - v. Hase und Dr. Frank Träger. Mehrere Publikationen sind in Vorbereitung bzw. stehen kurz vor dem Abschluß.
Die politische Geschichte Lateinamerikas ist durch einen zyklischen Wechsel zwischen autoritären und demokratischen Regimen gekennzeichnet. Welche Faktoren erklären die Regimewechsel? Welche Bedeutung kommt dabei sozioökonomischen Entwicklungen oder der politischen Kultur zu, die neben den autoritären auch weitzurückreichende demokratische Traditionen aufweist? Seit den 80er Jahren haben wir es mit einer nun bereits länger andauernden Phase demokratischen Regierens zu tun. Parallel dazu durchliefen die lateinamerikanischen Gesellschaften die tiefste Entwicklungskrise seit den 30er Jahren, die in den 90er Jahren in Prozesse des weltmarktorientierten Strukturwandels mündeten, die enorme soziale Umbrüche und erhebliche Anpassungsprobleme nach sich zogen. Die Demokratien mußten sich also unter sozioökonomischen "Schlechtwetterbedingungen" behaupten. Zentrale politische Akteure, wie z.B. die politischen Parteien, haben offensichtlich gewisse Lernprozesse hinter sich gebracht: Dies schlägt sich auf der Verhaltensebene nieder, wie beispielsweise an der eher zentripedalen statt zentrifugalen Ausrichtung des politischen Wettbewerbs abzulesen ist. Freilich läßt sich die Fortdauer demokratischen Regierens nicht ohne weiteres als Konsolidierung der Demokratie interpretieren. Welchen konkreten Bedrohungen sehen sich die jungen Demokratien weiterhin gegenüber? Welche Rolle spielen traditionelle Machtfaktoren wie das Militär, der Großgrundbesitz, die Kirche heute noch? Wie ist es um die Machtressourcen des Militärs bestellt? Welche Bedeutung kommt der überfälligen Modernisierung des Staatsapparates zu? Diesen und weiteren Fragen wird durch empirienahe, gleichwohl theoriegeleitete Forschung nachgegangen, die sich vor allem der Methode des synchronen und diachronen Vergleichs bedient. Schließlich geht es längerfristig auch darum, mögliche Rückwirkungen der Forschungsergebnisse der Lateinamerikaforschung auf die allgemeine politikwissenschaftliche Debatte um Legitimität und Regimestabilität zu analysieren bzw. selbst zu einer solchen Rückkoppelung beizutragen.
Nachdem die Integrationsprozesse der 60er und 70er Jahre, die im Zeichen des Modells importsubstituierender Industrialisierung gestanden hatten, in Stagnation endeten, erfolgte in der ersten Hälfte der 80er Jahre ein Neubeginn, der relativ rasch zu Ergebnissen führte, die den in früheren Jahrzehnten erreichten Stand an Freihandel und Binnenmarkterweiterung hinter sich ließen. Kennzeichnend für die neuen Prozesse war zunächst ihr inkrementalistischer Charakter und ihre Flexibilität. Ausgehend von einem festen Kern von zwei oder drei Ländern und einer begrenzten Agenda zielte man auf eine schrittweise Erweiterung. Seit Anfang der 90er Jahre zeichnet sich in den verschiedenen Integrationsprozessen eine deutliche Beschleunigung ab (vgl. NAFTA, Mercosur, Andenpakt etc.), die mit der Marktöffnung der beteiligten Länder in engem Zusammenhang stehen. Kennzeichnend für diese jüngste Entwicklung ist vor allem die Weltmarktorientierung, die Festlegung auf automatische Zollsenkungsrunden und der hohe Grad an political commitment , was u.a. in der permanenten Beteiligung der höchsten politischen Ebene der Mitgliedsländer an den gemeinschaftlichen Entscheidungen zum Ausdruck kommt. Aus diesen empirischen Befunden ergeben sich eine Fülle von Forschungsfragen: Womit läßt sich der integrationspolitische Neustart erklären? Fungierte die Demokratisierung und/oder die Abkehr von der importsubstituierenden Industrialisierung als Impulsgeber? Welche Erfolgsaussichten besitzt die weltmarktorientierte Integration? Läßt sich auf diesem Wege tatsächlich eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit erreichen? Welche Faktoren steuern die Dynamik der Prozesse (hier ist insbesondere die Analyse des Zusammenhangs mit den Strukturanpassungsprozessen in den einzelnen Ländern von Interesse)? Ist die neue institutionelle "Bescheidenheit" und Flexibilität funktional für die neue Integration, oder ist nicht doch ein höheres Niveau an Supranationalität notwendig? Welche Rolle spielen die unterschiedlichen Akteure wie Unternehmer und Gewerkschaften in den Integrationsprozessen? Wie sieht es mit der Partizipation der Bevölkerung aus? Welche Bedeutung kommt der Neubestimmung der außenpolitischen Positionen der USA nach dem Ende des Ost-West-Konflikts zu? Über diese empirisch-analytischen Fragestellungen hinaus wird untersucht, in welcher Wechselbeziehung die neuen Integrationsansätze mit den neueren Tendenzen im lateinamerikanischen entwicklungstheoretischen Denken (Stichwort "Neocepalism") stehen.
Projektdauer:
September 1994 bis August 1996
Finanziert von:
Volkswagen-Stiftung
Zielsetzung: Das Projekt hatte zum Ziel, die zentralen Strategien zur Legitimierung von Anpassungsprozessen zu identifizieren und Aussagen über die Auswirkungen dieser Strategien im Hinblick auf die Legitimität und Stabilität politischer Regime zu machen. Folgende Fragestellungen wurden zugrundegelegt:
Resultate : Wesentliche Ergebnisse wurden im Bereich der Theoriebildung erzielt. Der Legitimitätsbegriff wurde auf gesellschaftlich relevante Regulierungsleistungen des politischen Systems bezogen. Daraus ließen sich eine Reihe von Variablen entwickeln, die die Legitimierung von Anpassungsprozessen einer empirischen Überprüfung zugänglich machen. Beim Vergleich beider Fallstudien stellte sich heraus, daß sie sich in der spezifischen legitimatorischen Konstellation von Stabilisierungsprozessen und im phasentypischen Ablauf von Anpassungsreformen ähnlich sind. Unterschiede ergeben sich in der Zeitdimension und im institutionellen Setting. Über die Fallstudien hinaus dürfte die Erkenntnis tragen, daß eine lehrbuchartige Abfolge von Stabilisierungsmaßnahmen und Strukturreformen in der Praxis nicht beobachtet werden konnte. Für den Übergang zu einer weiterführenden Anpassung, die langfristigen entwicklungsstrategischen Fragestellungen im politischen Entscheidungsprozeß (wieder) Rechnung trägt, spielt die Entstehung struktureller legitimatorischer Dilemmata eine wesentliche Rolle.
Projektdauer:
September 1996 bis November 1998
Finanziert von:
Volkswagen-Stiftung
Zielsetzung: Mit diesem Projekt sollen die wachsenden regulativen und politischen Anforderungen im Anpassungsprozeß mit den gegenwärtig bestehenden Formen der Regulierung und Legitimierung in Beziehung gesetzt werden, um auf diesem Wege die Chancen für eine Konsolidierung der lateinamerikanischen Regime auszuloten. Folgende erkenntnisleitenden Fragen lassen sich formulieren:
Es werden regelmäßig Vorlesungen, Pro- und Hauptseminare sowie wissenschaftliche Kolloquien angeboten. Der Schwerpunkt der Lehre liegt auf den Berei- chen der politischen Systeme und Transformationsprozesse in Lateinamerika, der politischen Soziologie der Region, der Außenbeziehungen der lateinamerikanischen Staaten und der Entwicklungsmuster und -probleme Lateinamerikas sowie auf dem Bereich der Entwicklungstheorie. Mit Universitäten in Mexiko,Venezuela, Brasilien und Argentinien gibt es Kooperationsabkommen, die es Studierenden, die im Rahmen des Studiengangs "Magister Politikwissenschaft mit Regionalschwerpunkt" die Region Lateinamerika gewählt haben, ein Auslandsstudium zwischen einem Semester und einem Jahr ermöglichen.
Prof. Boeckh ist Mitherausgeber der Reihe "Forschungen zu Lateinamerika" beim Verlag für Entwicklungspolitik, Saarbrücken
(Prof. Dr. Gerd Meyer; Wiss. Angestellte Ellen Krause, M.A.)
In diesem Arbeitsbereich gibt es zwei Hauptinteressengebiete: die vergleichende Analyse der postkommunistischen Systeme Mittel- und Osteuropas sowie Analysen zur politischen Kultur und politischen Psychologie in einem weiteren europäischen Kontext.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten bildet die systematische Analyse der politischen Systeme Mittel- und Osteuropas einen Schwerpunkt in Forschung und Lehre. Frühere Studien konzentrierten sich auf die strukturelle und theoretische Analyse der kommunistischen Systeme bis 1989/90 . Sie beruhten vor allem auf den beiden neu entwickelten Konzepten des "bürokratischen Sozialismus" und des "sozialistischen Paternalismus". Mehrere Forschungsprojekte untersuchten das politische System und die Machtelite der DDR und der UdSSR sowie Probleme der Legitimität im Kontext der Prozesse sozialer Differenzierung, ideologischer Erosion und systemischer Krisen. In den 80er Jahren lag der Schwerpunkt der Arbeiten vor allem auf Studien zur politischen Kultur und zur Lebensweise verschiedener sozialer Gruppen insbesondere in der DDR und - als Resultat langjähriger Verbindungen mit der Universität Warschau - auch in Polen. In diesem Arbeitsbereich lag von 1987-1992 die Leitung des "Interdisziplinären Arbeitskreises DDR- und Deutschland-Forschung", der in Zusammenarbeit mit der Universität Jena einen Forschungsverbund zur "Lebensweise in der DDR" bildete. Andere Studien zur DDR konzentrierten sich auf die beiden Elemente des Paternalismus und Patriarchalismus; sie untersuchten die politischen Implikationen geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung und einer männlich dominierten politischen Kultur.
Während sich die früheren Studien auf die DDR, Polen und die
Sowjetunion konzentrierten, beziehen sich die laufenden Forschungen vor allem
auf die ostmitteleuropäischen Länder (Polen, die Tschechische und die
Slowakische Republik, Ungarn).
Die vergleichende Analyse der
Demokratisierung von Machtstrukturen und verschiedener nationaler Kulturen in
postkommunistischen Gesellschaften
steht im Mittelpunkt der
Forschungsinteressen. Die Ergebnisse von drei internationalen Konferenzen mit
Teilnehmern aus sechs ost-(mittel) europäischen Ländern sind in drei
Monographien veröffentlicht, die den Übergang von autoritären zu
demokratischen politischen Kulturen und Parteiensystemen untersuchen.
Herausgearbeitet werden vor allem der Wandel der Muster politischer
Partizipation und des Wählerverhaltens, die objektiven und subjektiven
Bedingungen für die Herausbildung demokratischer Legitimität im
Postkommunismus sowie politisch-kulturelle Kontexte des Aufstiegs der
Sozialisten seit 1993/94. Besondere Aufmerksamkeit wird auch der Entwicklung
neuer nationaler Identitäten bzw. Nationalismen in Ostmitteleuropa
gewidmet.
Im engen Zusammenhang damit stehen zwei weitere
Forschungsschwerpunkte: die
Analyse der politischen Kultur des vereinten Deutschland
, die
Konvergenzen wie Divergenzen zwischen beiden Teilen des Landes in ihren
historischen, systemischen und sozialpsychologischen Grundlagen untersucht.
Diese Studien werfen die Frage nach neuen Konzepten und Modellen für die
Analyse des Postkommunismus und insbesondere für den Prozeß der
politischen Reorientierung in einer Periode radikaler Systemtransformation auf.
Viele Entwicklungen in Mitteleuropa, im Osten wie im Westen, können nicht
verstanden werden ohne Erklärungsansätze der
politischen
Psychologie
. Auf der Grundlage von E. Fromms kritischer Sozialpsychologie
untersuchte eine qualitative empirische Studie den Gesellschaftscharakter einer
kleineren Gruppe von Ost- und Westdeutschen. In dieser Pilotstudie werden Ähnlichkeiten
und Unterschiede kollektiver Persönlichkeitsstrukturen durch
Tiefeninterviews und psychoanalytische Interpretation herausgearbeitet. Das Verhältnis
von Persönlichkeitsstrukturen und Politik im Postkommunismus (auch im
Vergleich zur BRD) ist Gegenstand weiterer Publikationen und Projekte. Im
allgemeinen verfolgt der Arbeitsbereich einen breiten Ansatz im Bereich der
politischen Psychologie, der darauf abzielt, den mainstream behavioralistischer
Forschung und die psychoanalytisch orientierte Sozialpsychologie der kritischen
Theorie im Feld der Politikwissenschaft zu reintegrieren.
Ein breites Spektrum von Vorlesungen, Seminaren und interdisziplinären Workshops wird zu den erwähnten Themen angeboten ebenso wie zu Methoden empirischer Forschung. Spezielle Seminare für jüngere Sozialwissenschaftler aus Osteuropa werden seit 1992 durchgeführt.
Zahlreiche Monographien und Aufsätze zur Analyse der kommunistischen und postkommunistischen Systeme Mittel- und Osteuropas (einschließlich der UdSSR und der DDR/Ostdeutschlands) wurden in Deutschland, Polen, Ungarn, Rußland, in der Tschechischen Republik und in den USA veröffentlicht. Prof. Meyer ist Herausgeber einer Reihe zur Politik, Gesellschaft und Kultur in Mittel- und Osteuropa, die unter dem Titel "Tübinger Mittel- und Osteuropastudien" im Francke-Verlag Tübingen erscheint.
Die internationale Zusammenarbeit in Forschung und Lehre gestaltet sich besonders intensiv im Rahmen des Internationalen Zentrums für Mittel- und Osteuropa an der Universität Tübingen. Forschung und Lehre konzentrieren sich hier vor allem auf die Thematik "Politische Kultur und Demokratisierung in postkommunistischen Gesellschaften". Kooperationspartner sind die Fakultäten bzw. Institute für Politikwissenschaft an den Universitäten Warschau und Wroclaw/Breslau und an der Polnischen Akademie der Wissenschaften; Karls-Universität Prag; Eötvös Lorand-Universität und der Central European University, Budapest; Universität St. Petersburg, Staatliche Moskauer Universität (MGU) und die Russische Akademie der Wissenschaften, Rußland; die Universitäten Jena und Leipzig; sowie mehrere größere amerikanische Universitäten. Zahlreiche Forschungs- und Lehraufenthalte der Mitarbeiter des Arbeitsbereichs an diesen Universitäten und dortiger KollegInnen, gemeinsame Konferenzen und Publikationen haben zu einer dauerhaften Kooperation geführt. Prof. Meyer ist außerdem Fachkoordinator Sozialwissenschaften im Rahmen eines Curriculum- und Weiterbildungsprojekts "Interdisziplinäre Verwaltungsstudien" der Staatlichen Moskauer Universität MGU und des Landes Baden-Württemberg.
(Prof. Dr. Peter Pawelka; Mitarbeiter Dr. Martin Beck)
Dieser Arbeitsbereich beschäftigt sich mit der Vergleichenden Systemanalyse, der Politischen Soziologie und Politischen Ökonomie in der Dritten Welt, vor allem aber in der Region des Vorderen Orients. Aus dieser Perspektive werden auch die weltpolitischen und weltwirtschaftlichen Verflechtungen der Dritten Welt berücksichtigt und ihre Rückwirkungen in die Industriestaaten analysiert.
Der Arbeitsschwerpunkt entwickelte sich aus Fragestellungen heraus, die der Rolle der Dritten Welt in der internationalen Politik gewidmet waren. Dabei ging es um die Herausbildung und die Funktionen des Weltwirtschaftssystems sowie seine Auswirkungen auf die vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen in verschiedenen Teilen der Dritten Welt. Untersucht wurden Probleme der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entwicklung in historischer Perspektive. Von besonderem Interesse war die Analyse von Herrschaftsformen in Entwicklungsgesellschaften. Untersucht wurden z.B. Strukturmerkmale traditionaler Herrschaft in den heutigen Systemen der Dritten Welt, die sich unter modernen Rahmenbedingungen fortentwickelt haben: Patrimonialismus, Klientelwesen oder der Rentiercharakter des Staates. Hinzu kam auch das entwicklungspolitische Verhalten des Staatsapparates und sein Wirken auf den verschiedenen Politikfeldern (Außenpolitik, Wirtschaftspolitik, Arbeitsmarktpolitik, Sozialpolitik u.a.m.). Aus diesen Forschungsperspektiven ergaben sich erneut Rückwirkungen auf Fragen zu den Strukturmustern der Internationalen Politik. Die Nord-Süd-Beziehungen wurden nach spezifischen Merkmalen, Mechanismen und Funktionen abgesucht, die für die Integration und Kontrolle der Dritten Welt heute maßgeblich sind. Besondere Aufmerksamkeit wurde dabei auf das Weltenergie-System gelenkt, das neben der Ressourcenmobilisierung und -verteilung auch politische Funktionen wahrnahm, bis hin zur sozioökonomischen Kontrolle ganzer Staatengruppen.
Seit etwa fünfzehn Jahren bildete sich im Rahmen der Entwicklungsländer-Forschung am Institut der regionale Schwerpunkt "Vorderer Orient" heraus. Anfänglich standen hierbei Untersuchungen zur Außenpolitik und zum Nahostkonflikt im Vordergrund. Sie mündeten in eine gesamtgesellschaftliche und entwicklungspolitische Analyse der beteiligten Regionalmächte mit Ägypten als Mittelpunkt. Inzwischen aber beschäftigt sich der Arbeitsbereich mit der gesamten Region: vom Maghreb im Westen über die Erdölstaaten am Golf bis zu den ehemals sowjetischen Republiken Mittelasiens. Trotz ihrer außerordentlichen Vielfalt weisen die einzelnen Länder der Region vergleichbare Traditionen, Erfahrungen, Strukturmerkmale und Reaktionsweisen auf. Und viele haben mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Dies zeigt sich u.a. auch im Bereich der Politischen Ökologie, einem Schwerpunktthema, dem sich der Arbeitsbereich erst vor kurzem zugewandt hat.
Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Erforschung des 1991 eingeleiteten Friedensprozesses im Nahen Osten (Habilitationsprojekt Dr. Beck).
Der Vordere Orient wird aber nicht nur unter politökonomischen Aspekten untersucht. Er wird auch als Bestandteil eines viel weiteren islamischen Kulturkreises aufgefaßt; dieser Blickwinkel schließt weite Teile Asiens und Afrikas mit ein. Er schreibt aber auch dem Islam im Kontext säkularer Konzepte einen besonderen Stellenwert für die Systemanalyse in dieser Region zu. Die regionale Schwerpunktsetzung am IfP beruht auch auf einer vieljährigen interdisziplinären Kooperation mit der Orientalistik, die sich in Tübingen traditionell mit dem Islam, der Kultur und Geschichte und den Sprachen des Vorderen Orients beschäftigt. Auf dieser Kooperation aufbauend, wird ein neuer Studiengang angestrebt, der Politikwissenschaft mit der Spezialisierung auf die Region des Vorderen Orients verbindet. Der Arbeitsbereich bietet seit vielen Jahren ein Forschungskolloquium an, in dessen Rahmen der Tübinger Ansatz zur Analyse des Vorderen Orients (Weltenergiesystem, Rentierstaat, Revolutionsanalyse) entstanden ist.
Er kooperiert auch mit verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen und Universitätsinstituten in der Arabischen Welt und anderen Orient-Instituten in den Industriestaaten.
Zum Lehrangebot des Instituts erfolgen regelmäßige Beiträge in Form von Vorlesungen und Seminaren. Sie umfassen die Themen "Politische Systeme des Vorderen Orients", "Politische Soziologie der Dritten Welt", "Der Vordere Orient in der Internationalen Politik" sowie Veranstaltungen zu speziellen Themen, wie Erdöl, Wasser, Minoritäten u.a.m..
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